Buchbesprechungen III

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von Rainer Ernst Schütz

Zur Vita

Leonard Bernstein (1918-1990) gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Mit 25 Jahren, am 24. August 1943, trat er mit der Uraufführung seines Songzyklus I Hate Music! Zum ersten mal als Komponist an die Öffentlichkeit. Vielleicht hätte er den Schwerpunkt seines Musikerdaseins mehr auf das Komponieren gelegt, wenn nicht am 14. November desselben Jahres sein Leben eine entscheidende Wendung genommen hätte. Der junge Bernstein sorgte für Furore, als er für den erkrankten Bruno Walter einsprang und in New York ein Konzert mit den Philharmonikern dirigierte. Der außerordentliche Erfolg des Konzertes machte ihn von einem Tag auf den anderen berühmt und bildete den Anfang einer international erfolgreichen Dirigententätigkeit. Was die meisten nicht wissen: Bernstein absolvierte auch ein zweijähriges geisteswissenschaftliches und musiktheoretisches Studium an der Harvard University.

Zahlreiche Wissenschaftler haben sich seines Werkes unter verschiedensten Blickwinkeln angenommen, dem großen Thema seiner Religiosität jedoch hat bislang hat keine akademisch fundierte Studie beikommen können.

Das Anliegen Scheiblers

Hier setzt die Autorin, eine gebürtige von Oppenheim, an mit vorliegender Untersuchung, die sich den jüdischen Wurzeln Bernsteins, des Verhältnisses Bernstein und Israel, der Nähe zu Gustav Mahler, der Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten, dem Thema Musik als Form der Religionsausübung sowie dem komplexen Bereich Künstlerbild, Weltanschauung und religiosphilosophische Aspekte widmet. Erstmals ist sie der Frage nach religiösen Aspekten in dessen Leben und Werk nachgegangen:

Da ist zum einen Bernsteins jüdischer Hintergrund zu nennen. Beide Elternteile waren ukrainische Flüchtlinge und gehörten dem chassidischen Judentum an. Insbesondere der aus einer Rabbinerfamilie stammende Vater Leonard Bernsteins war gläubiger Jude und stets darum bemüht, seine drei Kinder im Sinne der jüdischen Religion und Tradition aufwachsen zu lassen. Und dass sich Leonard Bernstein auch aus eigener Initiative mit religiösen Inhalten beschäftigte, geht aus zahlreichen in Universitäten, Kirchen und Synagogen gehaltenen Ansprachen sowie aus seinen publizierten Schriften hervor. Diese verweisen auf sein Interesse an jüdischen, christlichen und religionsphilosophischen Themen.

Das Werkverzeichnis

Bei der Betrachtung des Werkverzeichnis fällt auf, dass viele seiner Kompositionen mit jüdischen, biblischen und kultischen Titeln versehen sind. Die spezielle Vorgehensweise, sämtliche Kompositionen mit Überschriften zu versehen, lässt sich, so die Autorin, auf Bernsteins begeisterte Auseinandersetzung mit Sprache und Text zurückführen. Folgende Werke wurden aufgrund ihrer Thematik in die wissenschaftliche Arbeit Scheiblers einbezogen: Psalm 148 für Gesang und Klavier (1935), 1. Symphonie Jeremiah (1942), Hashkiveinu für Kantor, Chor und Orgel (1945), 2. Symphonie The Age of Anxiety (1949), 3. Symphonie Kaddish (1963), Chichester Psalms für gemischten Chor, Knabensolist und Orchester (1965), Mass „A Theatre Piece For Singers, Players and Dancers“ (1971), Dybbuk Suites Nr. 1 und 2 (1974), Halil, Nocturne für Soloflöte, Piccolo, Altflöte, Schlagzeug , Harfe und Streicher (1981) und Concerto for Orchestra „Jubilee Games“ (1986-89).

Scheibler richtet sich in ihrer Auswahl der Werke danach, ob den Werken eine – wie auch immer gerichtete – Thematik religiösen Glaubens zugrunde liegt: „Meist wird dieser religiöse Inhalt durch einen Text vermittelt. Dieser Text ist entweder als Gesang unmittelbar enthalten oder aber dient der jeweiligen Komposition als literarische Vorlage. In manchen Werken sind beide Formen der textlichen Nutzung vereint, wie beispielsweise in der 1. Symphonie Jeremiah: Allen drei Sätzen liegt die Weissagung des Propheten Jeremiah und die Zerstörung Jerusalems als alttestamentarische Vorlage zugrunde“ (S. 11). Wichtig für die Autorin ist auch die Tatsache, dass die religiöse Thematik der genannten Werke sich nicht allein auf die textliche Vorlage beschränkt, sondern dass diese im Notentext in den allermeisten Fällen nachweisbar ist.

Leonard Bernstein und das Judentum?

Warum wählt die Autorin nicht den prägnanteren und schlagkräftigeren Titel „Leonard Bernstein und das Judentum“? Denn die Aufzählung der Werke oben könnte implizieren, dass Bernstein sich vorwiegend mit jüdischen Inhalten beschäftigt hat. Scheibler zeigt, dass viele religiöse Gedanken und Ansichten Bernsteins nicht allein in Zusammenhang mit jüdischem Gedankengut stehen. Aber: „Die Dominanz jüdischer Thematik innerhalb der religiösen Werke lässt erkennen, dass sich Bernstein Zeit seines Lebens seiner jüdischen Wurzeln bewusst war und sich intensiv mit dem jüdischen Gedankengut beschäftigt hat“ (S. 13). – dennoch zeigt sich, dass seine religiöse Haltung inhaltlich nicht allein auf jüdische Elemente beschränkt war.

Bernstein und Israel

Bernsteins Begeisterung für den Staat Israel und die daraus resultierende enge Verbindung zum Israel Philharmonic Orchestra wird in Scheiblers Diskussion ebenfalls einbezogen. Dabei gilt es aufmerksam zu machen, dass Interesse und Zugehörigkeit zum Judentum einerseits auf einer religiösen Ebene, andererseits auch auf einer nationalen und ethnischen bestehen konnte. In den Diskussionen im Buch um Bernsteins Beziehungen zu Israel sind beide Aspekte gegenwärtig. Halil und Concerto for Orchestra, beide in Israel entstanden, werden im Buch eingehend unter diesen Prämissen diskutiert.

Bernstein und das Christentum

Ein anderer Aspekt ist Bernsteins Interesse am Christentum. Die Auseinandersetzung mit christlichem Gedankengut ist sowohl in seinem Werk als auch in dessen Reden und Schriften festzustellen. Das Musiktheaterstück Mass liefert etwa eine geeignete Diskussionsgrundlage. Und: „Sowohl die 3. Symphonie Kaddish als auch Mass sind zur Benennung verschiedener religiöser Leitgedanken geeignet und nehmen deshalb innerhalb der Werkbeschreibungen einen grossen Raum ein“ (S. 14). Christliches Gedankengut, so Scheibler, greift Bernstein in Ansprachen und Schriften auf, und dabei auffallend ist der Gebrauch der Begriffe „Glaube“, „Liebe“, „Hoffnung“.

Bernstein und Gustav Mahler

Ein Exkurs über einige Affinitäten von Leonard Bernstein und Gustav Mahler stellt weitere Aspekte in Bernsteins religiöser Haltung zur Diskussion. Aus seinen Schriften geht hervor, dass er musikalische Werke oder auch Komponisten, die er besonders schätzte, in einen religiösen Kontext stellte. Diesen Kontext hat Scheibler mit wichtigen Ergebnissen erörtert.

Fazit

Für die vorliegende Abhandlung wurden eine Fülle von Primär- und Sekundärliteratur ausgewertet; wobei Scheibler auch ergänzende Literatur zum Judentum, Christentum, zur Kabbalah und zu religionsphilosophischen Aspekten befragte. Bernsteins Religiosität war bislang ein kaum wahrgenommenes Thema; etwas, was nicht relevant war. Dass dem nicht so ist, dass Bernsteins religiöse Haltung sehr wohl von jüdischen Inhalten geprägt war, und dass dabei sehr wohl Raum für andere religiöse Ideen blieb, zeigt Scheibler in ihrem seriös recherchierten, klug gegliederten Buch auf.

Bernsteins Charisma, seine ausserordentliche Fähigkeit als Dirigent und Pädagoge sowie seine Leistung für das amerikanische Musical können kaum hoch genug bewertet werden (und Bernsteins Medienwirksamkeit hat sicher auch dazu beigetragen, dass sein exzessiver Lebenswandel in die Öffentlichkeit getragen wurde, während sein kompositorisches Engagement in den Hintergrund trat).

Die vernachlässigten religiösen Aspekte nehmen in Bernsteins Leben und Werk einen höheren Stellenwert ein als bisher angenommen. Das Buch stellt heraus, wie stark Bernsteins Haltung von religiösen Inhalten geprägt war.

Beate Hennenberg

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