Buch- und CD-Rezensionen

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von Dr. Beate Hiltner-Hennenberg


Hans Adamo, Zuckermanns Tochter.  Stärker als die Liebe war der Tod. Ein dokumentarischer Bericht unter Mitarbeit von Gaby Rehnelt, Verlag Klartext, Essen 2003. Warum so viel Zeit verstreichen musste, bis diese biografisch-dokumentarischen Lebensbeschreibungen jüdischer Mitmenschen, wie sie vor einem halben Jahr etwa Martin Doerry mit der Brief-Biografie über seine Großmutter Lilly Jahn gelang oder wie das vorliegende Buch darstellt, ans Licht der Öffentlichkeit kommen, ist einerseits befremdlich, andererseits nicht nur nachvollziehbar, sondern unbedingt zu begrüßen, sieht doch jetzt endlich, mehr als fünfzig Jahre nach Kriegsende, die Enkelgeneration der Täter und Opfer der bitteren Wahrheit ungeschminkt ins Auge.

Hans Adamo hat in Zuckermanns Tochter ein unerhört trauriges, unerhört dramatisches Schicksal von Liesl Will, die aufgrund ihrer Wurzeln als jüdisch galt, nachgezeichnet. Den Anstoß für diese Biografie gab eine Ausstellung mit Werken ihres Mannes, des Kunstmalers Heinrich Will, durch den Oberhessischen Geschichtsverein und der Stadt Gießen 1993, aus Anlass des 50. Jahrestages seiner Ermordung. Das Bild von Liesl Will – ihre Großmutter nannte sie damals stets Zuckemanns Tochter, daher der Buchtitel – wurde zu diesem Anlass nur unzureichend nachgezeichnet, führte sie doch ein eigenständiges und autarkes Leben. Das nahm der Autor zum Anlass, sich mit der unerschrockenen Kämpferin gegen die Menschenverachtung, die an der Universität über zehn Semester studiert hatte und danach lange Zeit als Kindergärtnerin beim Magistrat der Stadt Wien arbeitete, die musisch und literarisch interessiert und begabt war, näher zu beschäftigen.

Großvater Moritz Zuckermann zog um 1880 von Berlin nach Wien, weil er sich hier Aufschwung für seine Firma erhoffte und, vor allem, weil in Wien seit 1867 die liberale Gesetzgebung den Juden offizielle Gleichberechtigung mit ihren Mitmenschen versprochen hatte. Zu dieser Zeit waren damals mehr als die Hälfte der Wiener Anwälte Juden, und durch Juden errang die Wiener medizinische Schule Weltruf. Mit der Zuckermannschen Maschinenfabrik brachte es die Familie zu Wohlstand und gesellschaftlichem Ansehen.

Elisabeth Klein, Adamo schreibt durchweg „Liesl“, wurde 1901 hineingeboren in eine Zeit, die Stefan Zweig „die Welt der Sicherheit“ nannte, sie schwärmte für ihre Lehrerin Röserl und, etwas später, für den Volksopernsänger Richard Kubla. Mit siebzehn äußerte sie denn auch den Wunsch, Sängerin oder Schauspielerin zu werden. 1920 begann sie, an der Wiener Universität deutsche Sprache und Literatur zu studieren; sie belegte daneben poetische, mittelhochdeutsche wie auch philosophische und musikgeschichtliche Vorlesungen, etwa bei Walther Brecht, Hermann Jellinek, Dietrich Kralik und Wilhelm Jerusalem und Heinrich Gomperz, Wilhelm Robert Fischer und Guido Adler. Ihre Freunde der Jugendzeit waren Studenten, aber auch Verwandte von namhaften Wiener Künstlern, beispielsweise die Tochter von Felix Salten. Das Studium war für Liesl Klein ein wesentlicher Beitrag auf dem Weg zur Emanzipation als Frau, aber auch als Jüdin. Ihre Abkehr vom Judentum erfolgte nicht erst 1930 als Voraussetzung für die Eheschließung, sondern hier, ganz bewusst. Und hier, als Universitätsstudentin, entschied sie sich auch, nicht die väterliche Firma zu übernehmen, sondern einen eigenen Weg zu beschreiten, ihre Stärken auszuloten und Kindergärtnerin zu werden.

Kurz nach 1925 muss es gewesen sein, dass sie zum ersten Mal Heinrich Will begegnet war, der um diese Zeit zum Abschluss seines Studiums von Düsseldorf nach Wien gekommen war. Nach der Hochzeit, für die sie beide gekämpft hatten, zog das Ehepaar nach Gießen, in Wills Heimatstadt. Liesl wurde dort schnell als sympathische, gebildete und kultivierte Frau akzeptiert. Bis 1934 wurden die Heimat-Bilder und Bürger-Portraits Heinrichs gern gekauft, nach dieser Zeit kam allerdings ein schärferer Wind auf, eingeleitet mit der Rede des Gauoberleiters Ramm von der NS-Kulturgemeinde Frankfurt. Nach dem NSDAP-Parteitag in Nürnberg 1935 mit den judenfeindlichen Boykott-Schikanen und dem Antisemitismus als Staatsdoktrin wurde Heinrich aus dem Reichsverband der Bildenden Künste ausgeschlossen. Die Kontakte verringerten sich, man warf ihm vor, eine Jüdin geheiratet zu haben.

Kurze Zeit galt die Ehe noch als „privilegierte Mischehe“, dabei stets dem Druck zur Scheidung durch die Nazibehörden ausgesetzt. Im Februar 1942 drangen um 22 Uhr Mitarbeiter der Gestapo und der Kriminalpolizei in die Wohnung des befreundeten Dr. Kaufmanns ein, wo sich Wills seit ungefähr einem Jahr regelmäßig mit fünf, sechs anderen getroffen hatten, um sich durch ausländische Radiosendungen politisch zu informieren. Ein weiblicher Spitzel hatte sie verraten. Diese Gruppe, die letzten kritischen und ungebeugten Bürgerinnen und Bürger Gießens, schon länger observiert, wurde ins Gestapo-Gefängnis Darmstadt eingeliefert, wo man sie der staatsfeindlichen Propaganda in hochverräterischem Sinne anklagte und einen Bericht darüber, der von der Gestapo manipuliert war, dem Volksgerichtshof, dem höchsten Gericht des Hitlerstaates, übergab.

Nach der Verhaftung konnte Liesl ihrem Mann zwei eng und klein beschriebene Papiere zustecken lassen, auf dem sie von ihrer Hoffnung auf Zukunft schreibt, von ihrer Liebe zu ihm. Diese Papiere galten als wichtiger und belastender Bestandteil der Akten für den Volksgerichtshof.

Als der tagte, starb Liesls Vater, Samuel Klein. Bella Klein, die Mutter, Konzertpianistin und Oberingenieurs- und Fabrikantengattin, wurde im Mai 1942 nach Maly Trostinec deportiert. Sie wurde vergast, wann, ist nicht belegt, jedoch sind von rund 9000 deportierten österreichischen Juden 17 Überlebende bekannt. Liesl wurde im August 1942 in das Frauenzuchthaus Ziegenhain eingeliefert, der Tagebuchbericht einer Mitinhaftierten spricht nicht nur von extremem Raum- und Platzmangel, sondern auch von zwölfstündigen Arbeitsbelastungen, von Fesselungen, schlechten Haftbedingungen und von Bestrafungen wegen „Frechheit“. Aggressionen und Disziplinarverstöße nahmen zu. Trotz Müdigkeit und Schwäche scheint sie auf den beiden Fotografien für die Sträflingskartei, die überliefert wurden, nicht verbittert, eher blickt sie voraus, will nicht an das sie umgebende Elend denken. Am 7. Dezember 1942 wurde sie in das Konzentrationslager nach Auschwitz „entlassen“. 1,3 Millionen Menschen befanden sich dort. Es wird vermutet, dass sie gleich nach Ankunft in die Gaskammer getrieben worden ist.

Am 19. Februar 1943 wurde Heinrich Will in Preungesheim hingerichtet.

Nach der Dokumentation von Leben und dem gewaltsamen Tod von Elisabeth wie auch Heinrich Will fügt Hans Adamo ein Kapitel über die Täter und Gehilfen an, wobei er darstellt, dass viele Akten nicht mehr oder nur noch fragmentarisch existieren und Dokumente nur beschränkt zugänglich sind. Mit Walter Hartmann, Willi Harzmann, Ernst Drullmann, Karl Haas, Paul Nieder-Westermann und Johann Baptist Reichart konnte er zumindest einige nationalsozialistische Senatspräsidenten, Richter und Staatsanwälte namhaft machen und sie mit konkreten Todesverurteilungen in Verbindung bringen.

Was bleibt, nach der aufwühlenden Lektüre, ist zum einen die Tatsache, dass es nicht die Zahlen sind, sondern die Einzelschicksale, die das bestialische Geschehen erfassbar machen. Dass jede einzelne Biografie die heutige Generation aufrütteln muss, weil diese konkrete Person hinter dem beschriebenen Schicksal um Achtung, Gerechtigkeit, Menschlichkeit kämpfte. Und dass gerade ihr Kampf nicht für umsonst gewesen sein darf. In Bezug auf Liesl Klein bedeutet dies, Achtung zu haben vor ihrem Widerstand im inneren und äußeren. Dass sie ihr Leben auch in den schlimmsten Zeiten von Zuchthaus, Gefängnis und Konzentrationslager nie aus der Hand gab, dass sie nicht in Angst oder Passivität erstarrte, sondern immer mitmenschlich und verantwortungsbewusst bis zum Ende handelte. Auch dieser Widerstand gegen den Nationalsozialismus, so Adamo, wurde somit zu etwas besonderem.

Manfred Fuhrmann, Aus der Bahn geworfen. Die Stationen des jüdischen Theatermannes Dr. Hans Kaufmann. Mit einem Geleitwort von Martin Walser, Aisthesis Verlag Bielefeld 2003. (=Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe, Bd. 70). Es ist ein Buch vorzustellen, das über ein jüdisches Schicksal berichtet und dabei eng mit der deutschen Geschichte, speziell der deutschen Theatergeschichte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, verbunden ist. Im Zentrum steht Hans Kaufmann, Dr. Hans Kaufmann, der 1876 in Charlottenburg/ Berlin geboren wurde und als bürgerlich-jüdisches Kind in Berlin aufwuchs. Wie im weiteren zu sehen ist, wirkte er als Intendant und Regisseur, machte sich mit Ur- und Erstaufführungen von Dramen und Opern einen Namen. Er wirkte an mittleren Bühnen, aber in einer gewaltigen künstlerischen Aufbruchszeit. Ohne Mühe könnte man Kaufmann als einen patriotischen Diener seines Vaterlandes ansehen. Bis 1942 die Deportation nach Theresienstadt erfolgt, um diese Zeit war Kaufmann Mitte sechzig.

Der vorliegende biografische Versuch von Manfred Fuhrmann, dessen Eltern Kaufmann und seiner Frau in schweren Zeiten aktiv helfen konnten, basiert auf drei Quellen. Neben Archivfunden konnte Fuhrmann auf zahlreiche eigene Erinnerungen zurückgreifen. Außerdem lieferte Kaufmanns zweite Frau, die Schauspielerin Theamaria Lenz, Materialien zur Nachzeichnung dieses Lebensbildes nach.

Man hat Martin Walser für ein eindringliches Vorwort zur Studie gewinnen können, der es bedauert, dass sich Geschichtsschreibung oftmals ausschließlich mit den Großen eines Faches, mit den Leuchtsternen sozusagen, beschäftigt. Natürlich, so notwendig es ist, über die Wegbereiter deutscher Schauspielkunst zu diesen Zeiten, wie etwa die Stars Fritz Kortner oder Gustaf Gründgens, zu berichten, so wichtig wäre es auch, über die für den reibungslosen Ablauf des Kunstgeschehens, über die Vordenker, die für die Spielpläne verantwortlich waren, über die Regisseure, die erst den Stars zu ihrem Ruhm verhalfen, Bescheid zu wissen.

Hans Kaufmann. Sein Vater Otto Kaufmann war Kursmakler und Stadtverordneter, seine Mutter stammte aus Antwerpen. Als Schüler besuchte Hans Kaufmann über zehn Jahre das Französische Gymnasium in Berlin, in welchem pro Jahrgang etwa 500 Schüler im humanistischen Sinne ausgebildet wurden, auch alte Sprachen wie hebräisch lernten. Zu seinem Jahrgang gehörten beispielsweise der spätere Chemiker Adolf Windhaus, später Nobelpreisträger, oder Tilo von Wilmowsky, der 1933, obwohl nicht jüdisch, alle seine Ämter verlor: Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Kruppwerke kam als Freund von Goerdeler ins Konzentrationslager Ravensbrück und danach ins Konzentrationslager Sachsenhausen.

Zurück zu Kaufmann. Er studierte, kein Einzelfall, 1896 bis 1904 neben dem Studium der Rechte auch Bühnenpraxis bei Antoine und Brahm. Nun ist der biografischen Nachzeichnung zu entnehmen, dass sich Kaufmann nach der Jura-Promotion „zu einem versierten Theatermann, zum Regisseur“ entwickelte. Hier hätte

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