Wieviel Angela Merkel ist für die Demokratie zuträglich? – Teil 2

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von Rainer Ernst Schütz

Über den Umgang mit den politischen Rändern,
über die Vorzüge eines Mehrheitswahlrechts
und die Heilkraft repressiver Toleranz

Wer zur aktuellen Debatte über die Affäre Hohmann in der Bundesrepublik Deutschland eine Meinung äußert, die nicht zuallererst eine Verurteilung Hohmanns enthält, gerät leicht in den Verdacht, ein Antisemit zu sein. Es scheint derzeit in Europa im allgemeinen und im deutschen Sprachraum im besonderen wenig Interesse an übergeordneten, staatspolitischen Zielsetzungen zu herrschen; zumindest werden derartige Überlegungen zur Zeit hintangestellt, wenn es gilt, durch demonstrative Verurteilung eines Anderen die eigene Unbeflecktheit zu beweisen. Nun, das mögen für manche Politiker zwingende Notwendigkeiten darstellen; wirkliche Staatsmänner zeichnen sich durch ein Wahrnehmungsvermögen für größere Zusammenhänge aus.

Und zu diesen größeren Zusammenhängen gehört die Frage, wie das Problem des Antisemitismus politisch am besten zu behandeln ist. Ein schlichtes Leugnen dieses Problems ist ebenso unproduktiv wie dessen Tabuisierung. Im Grunde gibt es eine weitgehende Übereinkuft aller politischen Lager, alle Anstrengungen zu unternehmen, antisemitische Haltungen zu bekämpfen. Die öffentliche Distanzierung von antisemitischen Haltungen geht sogar weit ins rechte bis rechtsextreme Lager hinein, wobei sich natürlich die Frage stellt, wie glaubhaft solche Distanzierungen sind. Die Parteien der Mitte und die Linken sollten aber nicht allzu pharisäerhaft den Rechten Unehrlichkeit unterstellen, schließlich gibt es genügend Untersuchungen, die belegen, daß in allen Parteien ein gewisser Prozentsatz der Anhänger antisemitisch eingestellt ist. Daß dieser Prozentsatz im deutschen Sprachraum rechts größer als links ist, mag stimmen, anderswo – etwa in Rußland – ist das vermutlich anders.

Die entscheidende Frage ist, wie man mit diesen Menschen umgeht. Wenn das vorrangige Ziel darin besteht, sie zu einer Änderung ihrer Haltung zu bewegen, sind andere Maßnahmen nötig, als sie einfach auszugrenzen.

Ob die Ausgrenzung überhaupt eine taugliche Strategie ist, hängt vor allem davon ab, wie groß die Gruppe ist, die ausgegrenzt werden soll. Es ist sehr zu bezweifeln, ob eine Ausgrenzung bei Gruppen, die größer als einige Promille, höchstens wenige Prozent der Geamtbevölkerung sind, überhaupt funktionieren kann. Dazu später.

Ich behandle hier nicht die ja auch noch relevanten Frage, ob die Ausgrenzung von Menschen wegen einer – wenn auch glücklicherweise von der großen Mehrheit abgelehnten – persönlichen Meinung überhaupt kompatibel ist mit einem modernen Politikverständnis im Sinne von Respekt für Menschenrechte, Meinungsfreiheit und persönliche Integrität. Jedenfalls ist mir kein erfolgreicher Versuch bekannt, Menschen, die antisemitische Meinungen haben (ohne strafrechtlich relevante Handlungen gesetzt zu haben) von der politischen Mitwirkung auszuschließen. Das heißt, der ganz überwiegende Teil jener Menschen, die antisemitische Einstellungen haben, besitzen das demokratische Wahlrecht.

Damit ist die Frage des Umganges mit diesen Menschen keine bloße Frage der Moral oder des guten Geschmacks, sondern eine eminent politische Frage. Politisch in dem Sinne, daß die politischen Folgen bedacht sein wollen, die bestimmte Verhaltensformen hervorrufen.

Ich betrachte die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland insoferne als eine große Erfolgsgeschichte gerade im Zusammenhang mit dem Problem des Antisemitismus, als Deutschland im Gefolge der Nazipolitik auch nach 1945 noch außerordentlich hohe Prozentsätze von antisemitisch eingestellten Menschen hatte. Dieser Prozentsatz hat sich im Laufe der letzten rund fünfzig Jahre weitgehend auf solche Werte reduziert, wie wir sie aus den meisten europäischen Staaten kennen. Das mag noch immer als zuviel erscheinen, ist aber jedenfalls ein riesiger Erfolg verglichen mit den seinerzeitigen Prozentsätzen. Ich gehe davon aus, daß der wichtigste Beitrag zu diesem Erfolg darin bestanden hat, daß bis auf kleine Splittergruppen am rechten und linken Rand der überwiegende Teil der ursprünglich antisemitisch eingestellten Menschen in großen Volksparteien, CDU/CSU und SPD, integriert wurden und unter dem Einfluß moderater politischer Führungsfiguren zu demokratischen und humanistischen Einstellungen hingeführt wurden. Und wo das einzelne Individuum vielleicht nicht überzeugt wurde, wurde doch erreicht, daß die unkritische Weitergabe von Vorurteilen von Generation zu Generation sehr eingeschränkt wurde. Gerade diese unkritische Weitergabe von Vorurteilen ist aber ein Merkmal von Kleingruppen, die sich benachteiligt oder/und ausgegrenzt fühlen.

Diese Tatsache ist einer der Gründe, weshalb es zweckmäßig erscheint, möglichst keine organisierten Randgruppen entstehen zu lassen. Ein weiterer Grund dafür ist die Gefahr, daß solche Randgruppen, wenn sie existieren, in der Regel auch ein selbstbestätigendes Schrifttum produzieren, das ihre Vorurteile verfestigt und tradiiert. Im Gegensatz dazu ist die Einbindung solcher Gruppen in große Volksparteien eine Chance, sie mit moderaten Auffassungen zu umgeben und in eine politische Umwelt zu bringen, wo sie – zumindest auch – andere Haltungen kennenlernen. Und zumindest im Verlaufe von ein, zwei Generationen erzeugt das, wie die Beispiele Deutschlands und Österreichs sehr deutlich zeigen, eine signifikante Veränderung der Haltung der Bürger im Sinne einer enormen Reduktion antisemitischer Haltungen.

Es gibt kein Beispiel dafür, daß Ausgrenzungen ähnliche Erfolge aufweisen könnten. Ganz im Gegenteil, alle bekannten Versuche, durch politische Ausgrenzung unliebsame Gruppierungen zu schwächen, sind gewaltig nach hinten losgegangen und haben die jeweiligen Gruppen enorm gestärkt. Man denke nur an die Beispiele der Haider-FPÖ in Österreich oder an Le Pen in Frankreich (der derzeit, wenn man den Umfragen glauben darf, zu neuen Rekordergebnissen in Südfrankreich unterwegs ist).

Diese Stärkung kann aber wohl nicht das Ziel einer Politik sein, die atavistische Haltungen wie den Antisemitismus (und ähnliches gilt für Vorurteile gegenüber Roma und Sinti und viele andere traditionelle Opfer von Vorurteilen) abbauen will. Daher empfiehlt sich für eine solche, extreme Haltungen dämpfende Politik, eine Struktur, die nicht das Ausgrenzen, sondern im Gegenteil das Einbinden möglichst Vieler zum Ziel hat. Auch wenn man in Fällen, wie dem Fall Hohmann, geneigt sein könnte, zu sagen, daß hier das Maß des Erträglichen überschritten wurde, so muß man doch zuallererst die politische Wirkung einer Maßnahme sehen. Und die ist im Fall Hohmann eindeutig: Nach dem Ausschluß Hohmanns gab es in der CDU einen Sturm der Empörung, die FAZ berichtet von 95% negatven Anrufen, das Meinungsforschungsinstitut Infratest ermittelte für „Panorama“, daß eine Mehrheit der CDU-Wähler Hohmanns Aussagen nicht für antisemitisch hält, und auch eine (knappe) Mehrheit gegen den Hinauswurf ist. Da die CDU grob gerechnet die Hälfte der Bevölkerung repräsentiert, ist also zumindest rund ein Viertel der Bevölkerung (die Auffassungen in den anderen Parteien wurde ja nicht ermittelt) gegen Hohmanns Ausschluß. Ein Viertel der

Bevölkerung kann man aber nicht ausgrenzen, und damit ist der Ausschluß Hohmanns nicht mehr dessen Problem, sondern Angela Merkels Problem.

Wenn es für die extreme Rechte in dieser Zeit, wo sie schon weitgehend aus der politischen Landschaft verschwunden war, jemals irgendein Szenario geben konnte, das ihren Wiederaufstieg ermöglicht, dann war es dieses. Hohmann hat eine Rede gehalten, die offenkundig strafrechtlich unbedenklich ist – sonst hätte es schon längst entsprechende Schritte gegeben. Und statt ihn innerparteilich zu ermahnen, eventuell zu maßregeln, wurde er durch seinen Hinauswurf zum Helden der Rechten, noch dazu ausgestattet mit einem Mandat im Bundestag, das man ihm ja nicht wegnehmen kann. Und er weiß nun, daß ein riesiger Teil der CDU-Anhänger seine Auffassungen teilt oder zumindest akzeptiert. Soviel Schützenhilfe für eine Neuformierung der extremen Rechten hat es in Deutschland schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.

Daß diese Probleme, die die CDU nun hat, der am Boden liegenden SPD natürlich gelegen kommen, ist ja selbstverständlich. Es ist auch die natürliche Aufgabe einer politischen Partei, Schwachstellen des politischen Gegners zu suchen und nach Möglichkeit zu punkten. Der SPD-Führung ist also kein Vorwurf daraus zu machen, daß sie die CDU unter Druck gesetzt hat. Es wäre schon Aufgabe der CDU gewesen, diesem Druck standzuhalten.

Was hätte man besser machen können, was könnte man in Zukunft besser machen?

Wenn man das Ziel ernst nimmt, die politischen Ränder nach Möglichkeit allmählich zu moderateren Auffassungen hinzuführen, muß der Großteil ihrer Anhänger in großen Volksparteien politisch integriert sein. Dazu dienen politische, strukturelle und ethische Verhaltensweisen.

Politisch müßte darauf geachtet werden, daß man sich nicht durch den Druck eines politischen Gegners zur Preisgabe des eigenen politischen Randes drängen läßt – der wandert sonst nämlich leicht zu den Extremisten aus. Das gilt nicht nur für den aktuellen Fall des rechten Randes, sondern ebenso für die Integrationskraft der linken Parteien, also SPD und Grüne für die Integration von PDS-Anhängern.

Strukturell wäre gerade für diese Aufgabe ein Mehrheitswahlrecht äußerst dienlich. Bei allen Vorbehalten, die man aus Gründen der politischen Vielfalt einbringen mag (die aber durch parteiinterne Demokratie entschärft werden können) bleibt der unschätzbare Vorteil, daß in Mehrheitssystemen mit ihren üblicherweise zwei großen konkurrierenden Blöcken die extremen Ränder sich entweder einfügen müssen, oder aber politisch bedeutungslos sind.

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