Anfänge bürgerlicher Ideologie

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von Dr. Anton Szanya

lindern sollte, einer kollektivistischen Ethik angenähert, wonach das individuelle politische Handeln zum Nutzen der größtmöglichen Allgemeinheit sein sollte. SALUTATI täuschte sich zwar nicht darüber hinweg, daß das politische Klima in einem Staat alles andere als harmonisch ist, er sah jedoch in der neuen humanistischen Bildung das Mittel, diesen Zustand herbeizuführen. Wenn nämlich alle im politischen Leben Stehenden in gleicher Weise gebildet wären, müßten sie bei der Entscheidung darüber, was für das Wohl des Staatsganzen nützlich wäre und was nicht, zu den gleichen Ergebnissen kommen. Dabei soll aber auch nicht übersehen werden, daß sowohl bei SALUTATI als auch bei späteren Autoren eine Neigung bestand, bestimmt durch die Vorstellungen einer Bildungsaristokratie den Kreis der politisch Entscheidenden möglichst klein zu halten. Daß diese wenigen Entscheidenden auch tatsächlich nur zum Wohle der Allgemeinheit handeln würden, dafür bürgte nach SALUTATIS Auffassung die aus ihrer humanistischen Bildung erfließende Staatsbürgertugend, die jeden Gedanken daran von ihnen fernhalten würde, ihre politischen Entscheidungen und Maßnahmen nach Auswirkungen auf ihren eigenen persönlichen Nutzen hin zu befragen. Hier unterlag SALUTATI wohl einem ebenfalls narzißtisch inspirierten Wunschdenken, dem auch schon PLATON in seiner „Politeia“ trotz seiner Erfahrungen des Scheiterns seiner politischen Vorstellungen auf Sizilien erlegen war.

lindern sollte, einer kollektivistischen Ethik angenähert, wonach das individuelle politische Handeln zum Nutzen der größtmöglichen Allgemeinheit sein sollte. SALUTATI täuschte sich zwar nicht darüber hinweg, daß das politische Klima in einem Staat alles andere als harmonisch ist, er sah jedoch in der neuen humanistischen Bildung das Mittel, diesen Zustand herbeizuführen. Wenn nämlich alle im politischen Leben Stehenden in gleicher Weise gebildet wären, müßten sie bei der Entscheidung darüber, was für das Wohl des Staatsganzen nützlich wäre und was nicht, zu den gleichen Ergebnissen kommen. Dabei soll aber auch nicht übersehen werden, daß sowohl bei SALUTATI als auch bei späteren Autoren eine Neigung bestand, bestimmt durch die Vorstellungen einer Bildungsaristokratie den Kreis der politisch Entscheidenden möglichst klein zu halten. Daß diese wenigen Entscheidenden auch tatsächlich nur zum Wohle der Allgemeinheit handeln würden, dafür bürgte nach SALUTATIS Auffassung die aus ihrer humanistischen Bildung erfließende Staatsbürgertugend, die jeden Gedanken daran von ihnen fernhalten würde, ihre politischen Entscheidungen und Maßnahmen nach Auswirkungen auf ihren eigenen persönlichen Nutzen hin zu befragen. Hier unterlag SALUTATI wohl einem ebenfalls narzißtisch inspirierten Wunschdenken, dem auch schon PLATON in seiner „Politeia“ trotz seiner Erfahrungen des Scheiterns seiner politischen Vorstellungen auf Sizilien erlegen war.

Auch unter dem Eindruck, den der Kommunismus, der von seinem Anspruch her ein Versuch war, die vordem nur literarischen Idealstaaten und Mustergesellschaften durch eine Umsetzung in die Wirklichkeit zu ersetzen, mit seinen schrecklichen Auswüchsen und seinem Scheitern hinterlassen hat, konnte die Freude an der Utopie nicht dämpfen. Die narzißtischen Wünsche des Menschen nach der All-Einheit mit der Welt richten sich in der Gegenwart auf die Mutter Natur. Bücher wie „Ökotopia“87 oder „Dinotopia“88 werden gelesen und bringen die entsprechenden Saiten in den Seelen der Menschen zum Klingen.

INDIVIDUALISTISCHE IDEOLOGIEN

Im 14. Jahrhundert wurde auch der zweite Weg vorbereitet, auf dem die Menschen der Leere nach dem Fall der alten Autoritäten und Traditionen entgehen wollen. Es ist dies der Appell an das narzißtische Größenselbst im Menschen, daß er doch die Ödnis einer Welt ohne Leitwerte beenden möge, indem er sich selbst an deren Stelle setze. Der bereits genannte „Mythos vom Ruhm“ ist eine Spielart dieser individualistischen Ideologie, in der sich der Mensch gleichsam auf einen Standpunkt außerhalb der Welt begibt und damit seinem Sein ein gewissermaßen göttliches Wesen verleiht. Ein Beispiel dafür, wie dies zu verstehen ist, hinterließ aus dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts der Humanist Lorenzo VALLA (1405 - 1457), als er im Jahre 1430 den Einzug einer Seele in den Himmel mit folgenden Worten beschrieb: „Sogar der Gott-Mensch (= Christus; Anm. A.S.) wird dich bei deinem Eintreffen, dich Mensch-Gott, nicht mehr länger erwarten können. Er wird sich mit großer Kraft und Herrlichkeit von seinem Thron erheben, den Königspalast verlassen und dir bis zum Osttor mit Tausenden und Abertausenden von Purpurträgern entgegenziehen. Es wird dir auch nicht mehr erlaubt sein, dich bei seinem Anblick niederzuwerfen.“89

Die Vergottung des Menschen wurde mit zunehmender Kenntnis der neuplatonischen Philosophie des PLOTINOS (205 - 270)90, der den Menschen wegen seiner Anteile sowohl an der materiellen Welt durch seinen Körper als auch an der spirituellen Welt durch seine Seele gleichsam zum Angelpunkt des Universums erhob, noch weiter vorangetrieben. Vollendeten Ausdruck gab diesem neuen Menschenbild der bedeutendes neuplatonische Philosoph des 15. Jahrhunderts, Marsilio Ficino (1433 - 1499) in seiner im Jahre 1474 erschienenen „Theologia Platonica“, wo unter anderem über den Menschen schrieb: „Die allumfassende Vorsehung, die die Ursache des Universums ist, ist Gott eigentümlich. Infolgedessen ist der Mensch, der für alle belebten und unbelebten Dinge die Vorsehung ausübt, gewissermaßen ein Gott. Unzweifelhaft ist er der Gott der Tiere, die er alle gebraucht, die er alle beherrscht und von denen er die meisten zähmt. Er ist auch der Gott der Elemente, die er alle bewohnt und für die er sorgt. Und schließlich ist er der Gott aller Stoffe, die er alle handhabt, verändert und gestaltet. Wer so viel und so weitgehend über alle körperlichen Dinge herrscht und anstelle

 


 

87 Ernst Callenbach: Ökotopia: Notizen und Reportagen von William Weston aus dem Jahr 1999. Berlin: Rotbuch Verlag 1981.
88 James Gurney: Dinotopia; Das Land jenseits der Zeit. Ohne Ort 1993. Dieses Buch wirkt vor allem durch seinen Märchencharakter und seine schwelgerisch ausgestaltete Bebilderung.
89 Lorenzo Valla: De voluptate, (1430). Zitiert nach: Ruggiero Romano, Alberto Tenenti: Die Grundlegung, a.a.O. S. 125. Diese Szene ist ein eindrucksvolles Beispiel. wie sehr die Vorstellungswelt der Antike im 15. Jahrhundert die des Christentum überformt hatte. Im Sinne Lucius ANNAEUS Senecas, wonach „vivere militare est“ (Lucius Annaeus Seneca: Ad Lucilium epistulae morales, 96,5), wird das Erdenleben als steter Kampf gegen Übel und Versuchung aufgefaßt, und die Seele, die diesen Kampf erfolgreich bestanden hat, zieht gleich einem siegreichen römischen Feldherrn im Triumphzug in den Himmel ein. An dieser Stelle sei auch angemerkt, daß Lorenzo VALLA zur weiteren Erschütterung der moralischen Autorität des Papsttums insofern beitrug, als er die sogenannte Konstantinische Schenkung, derzufolge der sterbende Kaiser CONSTANTINUS I. (285 - 337; alleiniger Kaiser des römischen Reiches seit 324) Papst SILVESTER I. (Papst 314 - 335[!]) die Herrschaft über die westliche Reichshälfte übertragen hätte und auf die die Päpste ihre weltlichen Herrschaftsansprüche stützten, als Fälschung entlarvte.
90 Die bedeutendsten Vermittler der Philosophie des PLOTINOS nach Mitteleuropa im 15. Jahrhundert waren der schon mehrfach genannte GEMISTOS PLETHON und der Metropolit von Nikaia und spätere römische Kardinal Basilios BESSARION (1403 - 1472), die beide in Florenz wirkten.

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