Das Herbeistrafen guten Benehmens

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von Georg Vetter

„Wenn das Po-Grapschen im Strafrecht geregelt wird, quittiere ich meinen Job“ sagte mir unlängst eine Richterin, als ich ihre Meinung über die jüngste Diskussion um die Kriminalisierungstendenzen in Österreich erfahren wollte. „Ich bin nicht Richterin geworden, um Menschen wegen ihres schlechten Benehmens zu bestrafen.“

Die Lust an der ständigen Erweiterung des Strafrechtskatalogs erscheint heutzutage in einem hohen Maß gesellschaftsfähig. „Das gehört verboten!“ empören sich jene, die in einem zusätzlichen Paragraphen ein adäquates Mittel sehen, ein gewünschtes Verhalten herbeizustrafen. Du sollst kein fremdes Hinterteil berühren, Du sollst nicht im Tiefschnee Skifahren, Du sollst nicht aus 39 Kilometer Entfernung auf die Erde springen.

Nicht selten sehen sie mit dem Ruf nach dem Gesetzgeber ihren eigenen, erhöhten moralischen Anspruch erfüllt und bringen jene in Zugzwang, die sich dem Chor der neuen Forderungen entziehen: Ich strafe, also bin ich gut.

Viele gesellschaftliche Bereiche hat sich das Strafrecht in den letzten Jahren erobert. Vom Insiderhandel über die sexuelle Belästigung bis hin zum Anfüttern hat sich der Aufgabenbereich der Strafjustiz erweitert, die wegen der hohen Zahl der Grenzfälle besonders gefordert ist und daher nicht selten in die Kritik gerät.

Wenn man per Gesetz sozial-moralisches Verhalten verordnen möchte, wird regelmäßig übersehen, dass eine Norm nicht automatisch die Realität verändert. Vom Sollen zum Sein bedarf es auch der Rechtsdurchsetzung, die wiederum in der Hand von Menschen liegt. Wer also das Po-Grapschen sanktioniert, muss auch im Auge haben, dass er einen Richter verpflichtet, darüber zu entscheiden, ob Berührungshandlungen auf Freiwilligkeit beruhten, welche Körperteile betroffen waren, wie eng die U-Bahn besetzt war etc etc.

Das Grundproblem ist der Glaube an die Machbarbeit durch den Staat. Gebt mir die totale Macht und das Schlechte wird aus dieser Welt verschwinden. Alle Ideologien, die das Paradies auf Erden versprochen haben, sind gescheitert. Ebenso scheitern muss auch der Anspruch, per Strafgesetzbuch gute Menschen zu schaffen.

Mit der Regulierungsintensität steigt im Allgemeinen nicht die Perfektion der Menschen, sondern die Durchsetzungshäufigkeit der Skrupellosen. Das gilt im Mietrecht ebenso wie bei zwischenmenschlichen Beziehungen.

Vor knapp hundert Jahren haben die Vereinigten Staaten durch ein flächendeckendes Alkoholverbot versucht, den Teufel aus der Gesellschaft zu vertreiben. Diese 13 Jahre der Prohibition haben zu einem sagenhaften Verlust staatlicher Autorität und zu einem beispiellosen Anstieg der Kriminaltät geführt. Erst ein nicht mehr zu leugnender, gewaltiger Schaden in finanzieller, gesundheitlicher und moralischer Hinsicht führte dazu, dieses Experiment der Sozialingenieure endlich aufzugeben.

Bereits Wilhelm von Humboldt hat vor 200 Jahren die Frage nach der Grenze der Wirksamkeit des Staates gestellt. Diese Frage sollte jeder Abgeordnete vor Augen haben, wenn er ein neues Gesetz beschließt. Von der Inquisition über die Prohibition bis hin zur modernen Kriminalisierung aller Lebensbereiche wird eine Gesellschaft immer scheitern, wenn das Gesetz im Namen der Moral einen grenzenlosen, totalitären Anspruch erhebt.

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