Vom Elfenbeinturm zur Technologie der Zukunft

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von Anton Zeilinger

Aus meiner eigenen Erfahrung darf ich Ihnen vielleicht auch etwas erzählen. Als ich mich Anfang der Siebzigerjahre für die Grundlagen der Quantenphysik interessiert hatte, erhielt ich den wohlmeinenden Rat einiger Kollegen, daß ich mich etwas Interessanterem zuwenden sollte. In der Quantenphysik sei alles klar und ich würde nur meine Zeit vertun.

Ich hatte zum Glück die Freiheit, trotzdem zu tun, was mich interessierte. Mein einziges Motiv war die Tatsache, daß ich einfach nicht verstand, worum es ging. Die Quantenphysik hat zu viele Konsequenzen, die vollkommen jeder Intuition, jedem gesunden Menschenverstand widersprechen. Ein wunderschönes Beispiel dazu ist Schrödingers Katze, die in einer Überlagerung von "tot" und "lebendig" existieren sollte.

Der Peer Review hat meine ersten Forschungsprojekte gerettet und heute, etwa ein Vierteljahrhundert später kann ich zu meiner großen Überraschung sehen, daß genau die eigentlich philosophischen Fragestellungen, die mich anfangs motivierten heute zur Grundlage einer neuen Technologie zu werden scheinen, die durch Schlagworte wie den Quantencomputer und Teleportation weltweites Interesse gefunden haben.

Diese Geschichte ist sehr spannend; weil sie noch lange nicht abgeschlossen ist. Es gibt derzeit ein weltweit starkes Interesse an dieser neuen Technologie, obwohl niemand genau weiß, wozu es gut sein wird und es gibt einen internationalen Wettlauf, bei dem Österreicher ausnahmsweise einmal die Nase vorn haben. Die für die Industrieforschung zuständige Generaldirektion der Europäischen Kommission hat ein Programm zur Förderung von Quantum Computation und Quantum Information gestartet , d erstmals ein Programm ohne ein konkret verwertbares Ziel zu verlangen.

In der Zwischenzeit stellt sich dann die Frage, wozu wir an den Unis dann etwa in meiner Gruppe, ausbilden. Lernen die jungen Leute etwas Nützliches, etwas, das sie im Leben brauchen können, was bringen sie mit?

Dazu vielleicht eine kurze Erklärung, wie Forschung in einer modernen experimentellen Arbeitsgruppe abläuft. Hier arbeiten typischerweise 3 – 5 Leute an einem Experiment. Da gibt es einen älteren Supervisor, ein bis zwei Post-Docs, die schon ein Doktorat besitzen und eine wissenschaftliche Laufbahn ergreifen wollen und je 1-2- Diplomanden und Dissertanten. Sie sehen schon, daß durch diesen Generationenmix Wissen direkt an die Jungen weitergegeben wird.

Was lernen die Jungen dabei? Vor allem zwei Dinge:

  1. Umgang mit modernster Hochtechnologie. Man ist nur dann international konkurrenzfähig, wenn man über die aktuellsten Geräte verfügen kann. In unserem Bereich geht es um Informationsverarbeitung im breitesten Sinn, Datenerfassung, Messung und Analyse der Daten- bei einigen unserer Geräte gibt es weltweit nur einen einzigen Erzeuger, oft ein sehr kleiner Betrieb irgendwo in der Welt, wo jemand eine clevere Idee für ein neues Gerät versucht, kommerziell auszuschlachten.

    Dazu eine Problemdarstellung und ein Appell:

    An unserem Institut sind derzeit Computer in Forschung und Lehre im Einsatz, die eine Gesamtinvestition von öS 6 Mio repräsentieren. Bei einem modernen Betrieb sollte man etwa 20 – 25 % pro Jahr erneuern. Das bedeutet 1.2 – 1.5 Mio pro Jahr Investitionsbedarf pro Jahr allein zur Erneuerung. Heuer erhält unser Institut öS 400 000.- an Investitionsmittel für alles, nicht nur für Computer. Das ist schlicht eine Katastrophe.

  2. lernen die jungen Leute die Fähigkeit; Probleme allgemeinster Natur zu lösen. Wobei das Wichtige das besondere Herangehen an ein Problem ist und weniger die konkreten Fertigkeiten, die jemand erlernt. Es geht um ein logisch-analytisches, rationales Herangehen an ein Problem was schon mit der genauen Definition des Problems beginnt mit dem selbst finden des Problems. Offenbar lernen die jungen Leute nicht nur, physikalische Probleme zu lösen. Es gibt gerade in den USA, aber auch bei uns einen immer stärkeren Trend, daß Physiker sogar von Consulting Firmen, von Finanzinstitutionen oder von Wall Street Companies sehr gerne genommen werden. Das geht so weit, daß etwa von den Absolventen eines Physikjahrgangs an der Harvard Universität nur mehr ein geringer Teil in der Physik bleibt. das erzeugt natürlich ein Nachwuchsproblem für die Physik. Die USA können dem leicht entgegnen, indem Post-Docs fast ausschließlich Ausländer sind, hier vorwiegend aus dem asiatischen Raum.

Europa das gleiche Problem:

Letztes Jahr Annual Meeting of the Finnish Physical Society
Panel Dicussion über die Frage, wie man die Zahl der Physiker vergrößern kann.
Beteiligung des Vizepräsident von Nokia.

Auch in Deutschland haben wir eine Dynamischen Akademikerarbeitsmarkt. FAZ vom 29. Juli durchschnittlich im ersten Halbjahr 2000 + 24 Prozent Stellenangebote für Akademiker, bei Naturwissenschaftlern + 29 Prozent.

DPG und EPS machen auf diese Problem in großem Stil aufmerksam.

"Die Welt" vom 6. Juli 2000 beklagt den Mangel an Physikern und beschuldigt die Industrie zu kurzsichtig zu agieren. Man habe etwa Ende der 80er, Anfang der 90er Jahr, alles zu viele ausgebildete Physiker gab, zu wenige angestellt, wodurch diese Leute in andere Berufe abgewandert sind.

Bei den Mathematikern gibt es ähnliche Probleme. Ich erinnere an den kürzlichen Aufruf der Österreichischen Mathematischen Gesellschaft, dass angesichts des hervorragenden Arbeitsmarktes für Mathematiker ein großer Bedarf besteht.

Ich merke das auch in meiner eigenen Gruppe. Es gelingt immer schwerer, gute junge Leute an der Universität zu halten. Erst kürzlich ist haben zwei junge Frauen mit einem Doktorat aus meiner Arbeitsgruppe hervorragende Angebote aus der deutschen Industrie angenommen, bei Gehalten, mit denen wir nicht einmal annähernd Schritt halten können.

Eine Geschichte dazu aus eigener Erfahrung:
Ein junger Absolvent meiner Arbeitsgruppe, Diplom und Doktor ging zu einer Firma, die Telekommunikationslösungen im großen Stil installiert.
Vor kurzem hatte ich zufällig getroffen und gefragt, wie er zurechtkommt.
Antwort: Anfangs große Minderwertigkeitskomplexe gegenüber Kollegen, die aus HTL oder FH kamen. Die konnten einfach mehr in den Details der Technologie.
Mittlerweile hat er die Nase vorne, weil sich die Technologie so schnell entwickelt, daß die Kollegen mit ihrem Spezialwissen zurückbleiben und er mit seiner fundamentalen Ausbildung sich schneller umstellen kann. Da kommt ihm gerade das zugute, was er gelernt hat, die umfassende Problemlösungskapazität.

Es besteht also für die Unis keinerlei Grund, gegenüber den FHs Minderwertigkeitsgefühle zu entwickeln. Wenn, wie es kürzlich hieß, die Industriellenvereinigung meint, die Fachhochschulen hätten bei der Bildung die Nase vorne, dann wird hier erstens Bildung mit Ausbildung verwechselt und zweitens scheint man von den Dingen, die ich oben erzählt habe, nichts zu wissen.

Hier zum Abschluß einige Thesen:

  1. Erarbeitung eines Österreichischen Bildungs- und Ausbildungskonzeptes, das alle Bildungsinstitutionen umfasst. Hier bietet die Zusammenfassung der Kompetenzen in einem gemeinsamen Ministerium eine einmalige Chance.
  2. Das Ausbildungsziel aller Institutionen und damit auch der Universitäten ist klarer zu definieren und gegenüber anderen Anbietern abzusetzen
  3. Es müssen Mechanismen geschaffen werden, die eine echte Bewertung der Qualität des Geleisteten ermöglichen, diese Bewertung muß dann aber in der Ressourcenzuteilung Konsequenzen haben.
  4. Dies ergibt automatisch die Notwendigkeit, Konkurrenzmechanismen spielen zu lassen. Die immer wieder, gerade auch in der Physik andiskutierte Auflassung von Studienstandorten geht am Bedarf vorbei und hat dieselbe Qualität wie das Verlangen nach Zusammenlegung aller Mittelschulen in Wien, da sie ja das gleiche unterrichten. Ausnutzung des Konkurrenzpotentials wäre besser.
  5. Die durch die Universitätspolitik seit dem UOG 1975 geschaffene Gruppenuniversität ist ein historisches Kuriosum, das in der Welt seinesgleichen sucht und zu unglaublichem internen Verlust an Energien durch zu viele Gremien und Kommissionen führt.
  6. Die Universitäten leiden an Überregulierung und zuviel Bürokratie. Wir brauchen mehr freie Luft zum Atmen. Die Verlagerung vieler Entscheidungen in den autonomen Bereich der Universitäten hat keineswegs zu einer Reduktion des gesamten Administrationsaufwandes geführt.
  7. Es sollten alle Entscheidungen so weit unten wie möglich angesetzt werden. Institute als kleinste Einheiten sollten über ein Globalbudget verfügen und selbständig darüber entscheiden dürfen, ob sie die Mittel für Personal oder Investitionen verwenden.
  8. Die einzelnen Entscheidungsträger sollten maximalen Spielraum bekommen, allerdings dann auch volle Rechenschaft geben müssen. Wer beurteilt heute einen Institutsvorstand. Eine Dekanin, einen Rektor, ob die getroffenen Entscheidungen die besten waren?
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