Österreich sagt ja zu Reform, aber nein zu Rot-Grün

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von Mag. Thomas Herko

Eine Analyse des Ergebnisses der österreichischen Parlamentswahlen.

Wolfgang Schüssel ist der große Sieger der vorgezogenen österreichischen Nationalratswahl vom 24. November 2002. Der Stimmenzuwachs von 15,4 Prozentpunkten für seine Volkspartei ist der höchste, den eine Partei jemals bei einer Nationalratswahl erzielen konnte. Das Endergebnis im Detail (die Prozentangaben wurden auf eine Dezimalstelle auf- bzw. abgerundet):

1

Volkspartei (ÖVP)

42,3 Prozent (plus 15,4)

79 Mandate (plus 27)

2

Sozialdemokraten (SPÖ)

36,5 Prozent (plus 3,4)

69 Mandate (plus 4)

3

Freiheitliche (FPÖ)

10,0 Prozent (minus 16,9)

18 Mandate (minus 34)

4

Grüne

 9,5 Prozent (plus 2,1)

17 Mandate (plus 3)

5

Liberale (LIF)

 1,0 Prozent (minus 2,7)

0 (0)

6

Kommunisten (KPÖ)

 0,6 Prozent (plus 0,1)

0 (0)

7

Sonstige

 0,2 Prozent

 

 

Wie konnte es zu dieser politischen "Kontinentalverschiebung"1 kommen?

Als sich Wolfgang Schüssel, seit 1989 ununterbrochen ÖVP-Minister in SPÖ-geführten "Großen Koalitionen" und seit 1995 auch ÖVP-Obmann und Vizekanzler, Anfang 2000 durch einen Regierungspakt mit der rechtspopulistischen FPÖ des Jörg Haider zum Bundeskanzler machen ließ, wurde er mit einem Schlag zum politischen Buhmann der europäischen Öffentlichkeit. Die Empörung über die Koalition der österreichischen Christdemokraten mit der bis dahin von bundespolitischer Macht ferngehaltenen Haiderpartei ging sogar so weit, dass die 14 Mitgliedstaaten der EU bilaterale "Sanktionen" gegen die neue österreichische Regierung verhängten und einige christdemokratische Parteien den Ausschluss der ÖVP aus der Europäischen Volkspartei forderten.

Doch Schüssel hielt unbeirrt an seinem Weg fest und leitete die sogenannte "Wende" ein. Unter seiner Führung sollte das 30 Jahre unter sozialdemokratischer Hegemonie stehende Land auf Reformkurs gebracht werden. Der Schwerpunkt dieses Reformkurses lag auf der Sanierung des Staatshaushaltes. Und in der Tat, durch vor allem einnahmen-, aber auch ausgabenseitige Maßnahmen schaffte die Regierung im Jahre 2001 erstmals seit den frühen Siebziger Jahren einen Budgetüberschuss. Wenngleich viele andere notwendige Reformen, vor allem im Bereich der öffentlichen Verwaltung und was Liberalisierung und Deregulierung betrifft, bloß im Ansatz verwirklicht werden konnten, das durch die langjährige Große Koalition versteinerte politische System Österreichs geriet in Aufbruch. Es war offensichtlich, dass nach langem wieder eine Regierung im Amt war, die gestalten und nicht nur verwalten wollte. Für die österreichische Gesellschaft bedeutete dies eine positive Repolitisierung und eine wohltuende Wiederbelebung einer bisweilen erstarrten demokratischen Kultur.

Auf internationaler Ebene wurde der ÖVP-FPÖ-Regierung auch nach der Aufhebung der EU-Sanktionen von den meisten Staaten die kalte Schulter gezeigt. Mit der Haider-FPÖ wollen seriöse Parteien in Europa nichts zu tun haben. So dürfte es eine für Österreichs Ansehen im Ausland wichtige Konsequenz der "Wende" sein, dass die Einbindung dieser Partei in die Regierungsverantwortung den seit 1986 kontinuierlichen Aufstieg Jörg Haiders beendete. Hin- und hergerissen zwischen den nicht miteinander kompatiblen Rollen als populistische Protestbewegung einerseits und als staatstragende Regierungspartei andererseits kamen die Freiheitlichen, insbesondere auch im Zuge von Serienschlappen bei Regionalwahlen, innerparteilich nicht zur Ruhe. Der Richtungsstreit kulminierte im geschlossenen Rücktritt der Vizekanzlerin, des Finanzministers und des Fraktionschefs Anfang September 2002. Da wichtige Entscheidungen – wie etwa über die EU-Erweiterung – bevorstanden und nach den FPÖ-Rücktritten eine Fortsetzung der bis dahin gut funktionierenden Zusammenarbeit nicht mehr möglich erschien, beendete die ÖVP kurzerhand die Koalition und führte Neuwahlen herbei.

In ihrem ganz auf Wolfgang Schüssel zugeschnittenen Wahlkampf gelang es der ÖVP sehr wirkungsvoll, sich als seriöse, professionelle und moderne Kanzlerpartei zu vermitteln. Den Österreichern gefällt das, sie ziehen traditionell Kontinuität und Sicherheit neuen Modellen vor. Der letztendlich in seinem Ausmaß unerwartet fulminante Wahlerfolg der Volkspartei ist jedoch auch auf einen äußerst cleveren Schachzug Schüssels zurückzuführen. Mit dem von der eigenen Partei desavouierten FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser holte er sich den


1 Werner Mück im ORF am 24. November 2002.


laut Umfragen populärsten Politiker Österreichs als unabhängigen Finanzminister-Kandidaten in sein "Kompetenzteam". Grasser wurde in den letzten Jahren zum Shooting-Star der österreichischen Innenpolitik. Das liegt wohl hauptsächlich am jugendlich-sympathisch-manierlichen und gleichzeitig souverän-professionellen Auftreten des ausgewiesenen Anhängers der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Der Trend ehemaliger FPÖ-Wähler zur ÖVP wurde durch Grasser ganz gewiss verstärkt.

Der dramatische Absturz der FPÖ in der Wählergunst kam nach den innerparteilichen Turbulenzen nicht wirklich überraschend. Über die Ursachen und Folgen wurde und wird viel geschrieben. Die Art und Weise, wie Haider und die von ihm mobilisierten Parteifunktionäre freiheitliche Regierungsmitglieder zur Resignation brachten, wird jedenfalls als in der politischen Geschichte Österreichs einzigartiger "Schuss ins eigene Knie" in Erinnerung bleiben. Die FPÖ gab damit nicht nur all jenen recht, die ihr die Regierungsfähigkeit absprechen, sie stürzte sich durch die selbst verschuldete Wählervertreibung auch in ein finanzielles Fiasko. Völlig offen bleibt, welchen Weg diese Partei künftig gehen wird. Anlass für Zuversicht besteht jedenfalls nicht.

Der haushohe Sieg der ÖVP ist aber nicht nur durch die Selbstzerstörung der FPÖ zu erklären. Durch ihr Votum brachten die Österreicher unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie Rot-Grün nicht wollen. Von daher fielen die Zuwächse bei SPÖ und Grünen relativ bescheiden aus. Mit ihrem intellektuell dem früheren SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima weit überlegenen, aber letztlich doch nicht wirklich überzeugenden Spitzenkandidaten Alfred Gusenbauer konnte die SPÖ zwar verlorenes Terrain wiedergutmachen, doch war die Enttäuschung bei den Sozialdemokraten angesichts des Erdrutschsieges der ÖVP und des Nichtzustandekommens einer rot-grünen Mehrheit im Parlament sehr groß.

Ausschlaggebend für das Verfehlen des Wahlziels der SPÖ dürften drei Faktoren gewesen sein. Erstens starteten die Sozialdemokraten zu früh in den Wahlkampf und waren sich – bestärkt durch entsprechende Umfrageergebnisse – schon bald der "Rückeroberung" der politischen Macht in Österreich zu sicher. Zweitens konnten sie ihre Reformbereitschaft und die Finanzierbarkeit ihrer Vorschläge nicht glaubwürdig genug vermitteln. Die Wähler wollten eine Fortsetzung des Sparkurses und nicht eine Regierung, die die Uhren in Österreich wieder zurückdrehen würde. Ein dritter Faktor war natürlich auch, dass die Wähler Ausschlaggebend für das Verfehlen des Wahlziels der SPÖ dürften drei Faktoren gewesen sein. Erstens starteten die Sozialdemokraten zu früh in den Wahlkampf und waren sich – bestärkt durch entsprechende Umfrageergebnisse – schon bald der "Rückeroberung" der politischen Macht in Österreich zu sicher. Zweitens konnten sie ihre Reformbereitschaft und die Finanzierbarkeit ihrer Vorschläge nicht glaubwürdig genug vermitteln. Die Wähler wollten eine Fortsetzung des Sparkurses und nicht eine Regierung, die die Uhren in Österreich wieder zurückdrehen würde. Ein dritter Faktor war natürlich auch, dass die Wähler von der Wirtschafts- und Steuerpolitik der rot-grünen Regierung in Deutschland abgeschreckt wurden.

Die österreichischen Grünen hätten mit ihrem stets moderat auftretenden Professor Alexander Van der Bellen sicher das Potenzial zu einem zweistelligen Prozentergebnis gehabt. Ihr schwerer strategischer Fehler bestand darin, sich von vornherein auf eine Koalition mit der SPÖ oder eben wie schon bisher auf die Oppositionsrolle festzulegen. Dadurch gelang es ihnen kaum, Stimmen von Grün-Sympathisanten im bürgerlichen Lager zu gewinnen.

Durch seinen sensationellen Wahlsieg wurde Wolfgang Schüssel vom Buhmann zum Strahlemann der europäischen Bürgerlichen. Inwieweit er seinen Erfolg politisch umsetzen kann, hängt jedoch entscheidend vom Koalitionspartner ab. Welche Regierungskoalition Österreich bekommen wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer abschätzbar. Die drei möglichen Szenarien: ÖVP-FPÖ, ÖVP-SPÖ oder ÖVP-Grüne.

Wenig wahrscheinlich erscheint eine Neuauflage von ÖVP-FPÖ, solange Jörg Haider bei den Freiheitlichen eine maßgebliche Rolle zukommt. Am wahrscheinlichsten ist eine Große Koalition aus ÖVP und SPÖ, eine Variante, die jedoch die Gefahr einer neuerlichen Lähmung des politischen Systems in sich birgt. Fraglich ist auch, ob es nicht besser wäre, wenn die SPÖ noch eine Legislaturperiode in der Opposition bleibt, um sich inhaltlich und personell neu zu positionieren. Eine Koalition zwischen ÖVP und den Grünen ist mittlerweile nicht mehr undenkbar, würde jedoch beiden extreme Kompromissbereitschaft abverlangen. Wie auch immer, eines steht fest: Je länger sich die Gespräche über eine Regierungsbildung dahinziehen, desto stärker wird der Druck auf SPÖ und Grüne, zu einer Zusammenarbeit mit der ÖVP bereit zu sein, denn eine neuerliche Regierungsbeteiligung der FPÖ wird von diesen beiden Parteien strikt abgelehnt und von Neuwahlen würde wohl nur die ÖVP profitieren. Mit einer neuen österreichischen Regierung ist wohl erst ab Februar 2003 zu rechnen.

Ja, und da war doch noch das Liberale Forum. Nach 1999 scheiterte es bereits zum zweiten Mal am Einzug in den Nationalrat. Zugegeben, für eine nicht mehr im Parlament vertretene Partei ist es wegen der weit geringeren Medienaufmerksamkeit ungleich schwerer als für eine Parlamentspartei, die für einen Einzug festgelegte Vier-Prozent-Hürde zu überspringen. Der jämmerliche Stimmenanteil von 0,98 Prozent – in Anlehnung an das "Projekt 18" der FDP hatte das LIF kühne acht Prozent angepeilt – liegt jedoch vor allem in Eigenfehlern begründet.


2 Näheres dazu unter http://www.karlheinzgrasser.at.


Wenngleich sich das LIF bemühte, im Wahlkampf als moderne, positive und zukunftsgläubige Kraft in Erscheinung zu treten, mangelte es an der für den Erfolg einer liberalen Partei unverzichtbaren Seriosität und Professionalität. Anstatt mit einer respektablen Persönlichkeit mit vorbildlich gelebter Liberalität – Stichwort Eigenverantwortung, Toleranz und Weltoffenheit – als Spitzenkandidaten in die Wahl zu gehen, setzte das LIF mit dem ehemaligen TV-Moderator Reinhard Jesionek auf den Spaßfaktor. Aktionen wie als Journalist verkleidet in das Fernsehstudio zu stürmen, kurz bevor dort die letzte TV-Konfrontation der Vertreter der vier Parlamentsparteien begann, um Aufmerksamkeit zu erhaschen, oder die Abhaltung gemeinsamer Pressekonferenzen mit der KPÖ – nach der Devise bedeutungslos und bedeutungslos gesellt sich gern, trugen sicher viel dazu bei, dass beinahe drei Viertel der LIF-Wähler von 1999 dieser Partei nicht nochmals ihr Vertrauen schenken wollten.

Die Ursachen für den Niedergang des LIF und für das noch lange anhaltende Verliererimage des Begriffes "liberal" in Österreich sind jedoch in jenen Jahren zu suchen, als das LIF politisch-strategisch falsch positioniert wurde: nämlich links anstatt in der Mitte in glaubhafter Äquidistanz zu den anderen politischen Lagern. Der liberale Industrielle Georg Mautner-Markhof, der 1993 einer der Gründer des LIF war, später aus Enttäuschung über den Linkskurs des LIF wieder in die FPÖ zurückkehrte und nach den jüngsten Ereignissen nun definitiv aus der FPÖ austrat, zieht aus der Praxis des politischen Liberalismus in Österreich folgenden Schluss: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich liberale Gedanken nur durchsetzen, wenn möglichst viele Parteien davon infiziert sind, aber nicht durch eine eigene Partei."3

 


 

3 Die Presse, 28. November 2002.