NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger zu Gast im CUL

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Nach den zurückliegenden Nationalratswahlen sind die schwer angeschlagenen Sozialisten und Freiheitlichen weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Gastgeber Georg Vetter kündigte Frau Meinl-Reisinger im vollbesetzten Club folgerichtig als „Chefin der einzig aufstrebenden Oppositionspartei im Parlament“ an. Dieser Rolle einer „gefühlten Oppositionsführerin“ wurde die Dame in ihrer kurzweiligen Präsentation auch voll und ganz gerecht.

Wenig überraschend, stand eine Analyse des kürzlich präsentierten Regierungsprogramms der türkisgrünen Bundesregierung im Zentrum ihrer Ausführungen. Die Chefin der nach ihrer eigenen Einschätzung liberalen Partei ortet darin einerseits große Detailverliebtheit – nämlich dann, wenn es um offenkundige Lobbyinteressen eines der beiden Koalitionspartner geht – und einen über weite Strecken eklatanten Mangel an greifbaren Inhalten andererseits. Von dem regierungsseitig versprochenem „Besten aus beiden Welten“ kann sie jedenfalls nicht allzu viel erkennen.

Meinl-Reisinger ist dennoch der Meinung, der Regierung zunächst etwas Zeit geben zu müssen, um die vielen vagen Ankündigungen des Regierungsprogramms mit konkreten Inhalten zu füllen. Die berühmten „100 Tage“ hält sie für angemessen. Was für sie und die NEOS jetzt bereits klar ist: das Volumen der angekündigten Steuerreform ist nicht groß genug. Besonders schmerzlich zu vermissen ist die Abschaffung der kalten Progression, die einen Großteil der von der Regierung angekündigten Tariferleichterungen in Kürze wieder zunichtemachen wird. Auch eine Senkung der Lohnnebenkosten bleibt aus. Das von der Regierung erklärte Ziel, Wirtschaft und Umwelt in Einklang bringen zu wollen, ist zwar positiv, im „zusammengestoppelt“ wirkenden Regierungsprogramm ist aber nicht klar ausformuliert, wie das funktionieren soll.

Meinl-Reisinger kritisiert den sich durchs gesamte Programm ziehenden Gedanken, die Menschen vor allem möglichen „schützen“, ihnen aber keine zusätzliche Freiheit zugestehen zu wollen, was sich schon in der Wortwahl niederschlägt: Der Begriff Sicherheit kommt 176 Mal vor, der Begriff Chancen dagegen nur 20 Mal.

In der folgenden Debatte wird vom Publikum kritisiert, dass die NEOS dem Rückbau des Staates kaum Bedeutung zumessen - etwa im Wege einer drastischen Reduktion der staatlichen Umverteilung. Auch das Bekenntnis zur Beibehaltung eines progressiven Steuersystems stößt auf Unverständnis. Trotz dieser Kritik besteht Meinl-Reisinger vehement auf dem Etikett „liberal“ für ihre Partei.

Meinl-Reisinger tritt im Zusammenhang mit den skandalösen Vorgängen an der Universität Wien (der mehrfachen gewaltsamen Verhinderung von Lehrveranstaltungen des der linken Studentenschaft missliebigen Historikers Lothar Höbelt) für die Freiheit der Lehre ein – ungeachtet der politischen Zugehörigkeit der Vortragenden.

Der GIS-Gebührenfrage steht die NEOS-Chefin offen gegenüber. Es müsse zu einer Reform kommen, über deren Inhalt bereit zu debattieren sei. Eine Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei in jedem Fall notwendig. Inwieweit der Kampf für ein zwangsfinanziertes, staatliches Informationsprivileg mit liberalen Gedanken zusammenpasst, sei ebenso dahingestellt, wie die von Meinl-Reisinger verteidigte Kinderverstaatlichung im Wege einer steuerfinanzierten Zwangsbeschulung (sie fordert die Kindergartenpflicht ab vier Jahren!).

Eigentumsbildung, respektive eine Erleichterung derselben, hat laut Meinl-Reisinger für die NEOS große Bedeutung. Wie diesem begrüßenswerten Ziel gedient werden soll, bleibt indes offen.

Kritik an der europäischen Zentralbürokratie kommt nicht. Die NEOS stehen dem Projekt der Europäischen Union weitgehend unkritisch gegenüber – ja sie können sogar dem langfristigen Ziel eines europäischen Bundesstaates etwas abgewinnen.

Als „typisch österreichisch“ sieht Meinl-Reisinger den Vorstoß, „Meister“ als auf Dokumenten eintragungsfähigen Titel einzuführen. Das wäre positiv, weil es die Bedeutung des Handwerks aufwerten würde.

Den Kampf für einen möglichen „Aufstieg durch Leistung“, den einst die Sozialisten für sich reklamiert, zuletzt aber vollkommen aufgeben haben, schreiben nun die NEOS auf ihre Fahnen.

 

Andreas Tögel